Donnerstag, 23. Februar 2017

Ein Plädoyer für die Langsamkeit



Achtsamkeit, im Hier und Jetzt leben, den Augenblick genießen, langsam werden – all das kann man in unzähligen Ratgebern lesen oder in Kursen und Workshops lernen. Oder… von unseren Kindern. Kinder können das. Total im Moment leben, sich auf etwas einlassen, ohne an die Folgen zu denken, für Kleinigkeiten ewig brauchen. Im Alltag kann das für uns Eltern auch mal nervig sein, aber grundsätzlich sehe ich darin eine wunderbare Fähigkeit und ich versuche jeden Tag, ein bisschen von den Kindern zu lernen. Es ist doch egal, wenn wir beim Spazierengehen nur 200 Meter schaffen, weil ein Käfer den Weg kreuzt, die Böschung beklettert werden muss oder 50 Steine in die Lenkertasche des Dreirads wandern. Der Weg ist das Ziel - Kinder können das, wir Erwachsenen müssen es wieder lernen. 


Auch bemühe ich mich im Moment immer wieder, unseren Alltag zu entschleunigen. Heute haben Kinder und Familien oft so viele Termine, schon Babys werden in diversen Kursen gefördert, Kleinkinder haben mehrmals wöchentliche Termine, von älteren Kindern ganz zu schweigen. Dagegen ist natürlich grundsätzlich nichts einzuwenden. Ich habe mit dem Sohnemann damals auch einen Babymassagekurs gemacht und mit dem Töchterlein besuche ich ab und zu eine Stillgruppe. Es ist schön, in Kontakt mit anderen Mamas zu kommen, sich auszutauschen und vor der sprichwörtlichen Decke zu Hause zu flüchten, die sonst droht, einem auf den Kopf zu fallen. Auch jetzt mit beiden Kindern besuche ich gerne Freundinnen mit Kindern oder die Großeltern und wir empfangen sehr gern Besuch. Aber eben mit Maß und Ziel, wenn möglich nur ein „Termin“ pro Tag. Oft lungern wir bis 9 Uhr morgens im Schlafanzug rum, brauchen ewig fürs Frühstück und noch länger, bis der Frühstückstisch wieder abgeräumt ist. Wir gehen auch bei schlechtem Wetter oft nach draußen, ohne Plan und Ziel.

Kinder müssen nicht dauernd entertaint werden, vielmehr sind es oft die kleinen Dinge, die den besonderen Zauber der Kindheit ausmachen. Der tägliche Spaziergang zu Nachbars Hühnerstall, das Balancieren am Gehsteig vor dem Haus, das zehnmalige Lesen ein und desselben Buches, das gemeinsame Kuchenbacken und Ausschlecken der Teigschüssel, ein ausgelassener Tanz durchs Esszimmer oder eine Runde Kuscheln am Teppich im Kinderzimmer – und vor allem Eltern, die den Kindern Zeit schenken und Zeit lassen, um die Welt zu entdecken.

Und nein, es ist nicht immer leicht. Oft sind die Tage allein mit zwei so kleinen Kindern sehr, sehr lang und auch einsam. Manchmal unternehmen wir spontan etwas, weil ich Lust auf Gespräche mit anderen Erwachsenen habe. Manchmal treibe ich den Sohnemann zur Eile, weil ich zu wenig Geduld habe. Manchmal nervt es mich unheimlich, wenn er eine gefühlte Ewigkeit zum Händewaschen braucht und zum zwanzigsten Mal „Bruder Jakob“ mit mir singen mag und das tue ich dann auch kund. Aber immer öfter gelingt es mir, mich auf das Tempo und die Interessen der Kinder einzulassen. Dann genieße ich die frische Luft, während der kleine Mann nach dem Einkaufen dringend noch vor der Haustüre kehren muss und kuschle mit dem Töchterlein, während der Sohnemann fünf Minuten zum selbstständigen Anziehen der Schuhe braucht. Ich verdränge immer öfter den Gedanken an die Wäsche im Trockner und setze mich auf den Boden, beobachte meine beiden in ihrem Tun und freue mich über ihren Entdeckerdrang. Das ist Achtsamkeit im Familienalltag und es tut uns so gut. Mir, den Kindern, uns allen.


Einen Literaturtipp zum Thema habe ich auch noch für euch: Slow Family von Nicola Schmidt und Julia Dibbern.

Wie geht es euch mit Langsamkeit? Mag jemand seine Erfahrungen schildern, ich würde mich freuen!